30.06.2025 | Bericht
Das Virtual Operations Support Team (VOST) des Technischen Hilfswerks (THW) ist eine spezialisierte, digitale Einheit im Bevölkerungsschutz, die seit ihrer Gründung im Jahr 2016 eine zentrale Rolle bei der Unterstützung von Krisenstäben spielt. Über 70 engagierte Ehrenamtliche aus ganz Deutschland arbeiten hier digital vernetzt zusammen, um in Echtzeit entscheidungsrelevante Informationen aus öffentlich zugänglichen Quellen zu analysieren, einzuordnen und als Lagebild für die Krisenbewältigung aufzubereiten – etwa in Form von Karten, Dashboards oder strukturierten Berichten. Dabei setzt das VOST auf Fähigkeiten wie Social Media Monitoring, Open Source Intelligence (OSINT) und Werkzeuge wie Geoinformationssysteme (GIS).
Was das VOST besonders macht: Es ist flexibel, online-basiert und inklusiv – ein Ehrenamt, das Menschen mit unterschiedlichsten Lebensrealitäten und Voraussetzungen offensteht. Volker Tondorf, Gründungsmitglied des VOST, heutiger Leiter des Teams und Ortsbeauftragter des ersten virtuellen Ortsverbands (vOV), gibt Einblicke in die Besonderheiten, Herausforderungen und Chancen dieser innovativen Form des digitalen Engagements im Bevölkerungsschutz.
Von der Faszination zur Funktion – der Weg ins digitale Ehrenamt
Volker Tondorf beschreibt seinen Weg ins digitale Ehrenamt als eine Kombination aus persönlichem Interesse und gesellschaftlichem Engagement: „Mein Weg ins digitale Ehrenamt war geprägt von meiner Faszination für Technologie und dem Wunsch, weiterhin im Bevölkerungsschutz mitzuwirken.“ Bereits während seines Studiums und seiner Zeit im Rettungsdienst habe er die Bedeutung digitaler Medien erkannt – damals ein noch wenig beachtetes Feld in Deutschland. Seine Motivation fasst er so zusammen: „Die Digitalisierung bietet enorme Chancen für den Bevölkerungsschutz – diesen Wandel wollte ich mitgestalten.“
Das digitale Ehrenamt im VOST ermöglicht es, flexibel und ortsunabhängig tätig zu sein. „Die Möglichkeit, ortsunabhängig und hochflexibel zu helfen“, beschreibt Tondorf als einen besonderen Reiz. Gerade durch das digitale Format können mit sehr kurzer Vorlaufzeit Krisenstäbe unterstützt, Lagebilder erstellt und Informationen geliefert werden, die operativen Kräften echte Vorteile verschaffen. Die Vielfalt der Einsatzszenarien, von Naturkatastrophen bis zur Bekämpfung von Desinformation, macht den Alltag abwechslungsreich und spannend.

Einsatz im International Police Cooperation Center (IPCC), EURO24.
Digitale Kompetenzen und virtuelle Teamarbeit als Schlüssel zum Erfolg
Das VOST fordert besondere Fähigkeiten seiner Mitglieder: „Analytisches Denken, Medienkompetenz, sicherer Umgang mit bewährten und neuen digitalen Tools und Teamarbeit auf Distanz“ seien zentral.
Dabei sei Technikaffinität zwar hilfreich, aber nicht alles: „Kommunikationsfähigkeit, Belastbarkeit und die Bereitschaft zur Weiterbildung sind ebenso entscheidend.“
Die Arbeit im VOST unterscheidet sich deutlich von klassischen Einsatzformen. „In fast 100 Prozent der Fälle entsenden wir auch Verbinder bzw. technische Berater in den Krisenstab des Anforderers. Dies sind die einzigen Personen aus dem VOST, die real in die Nähe des Geschehens fahren,“ erläutert Tondorf. Die Mehrheit der Arbeit erfolgt jedoch virtuell und basiert auf der systematischen Auswertung sozialer und digitaler Medien bzw. Datenquellen sowie der Erstellung digitaler Lagebilder und Dashboards – eine völlig neue Einsatzform im Bevölkerungsschutz, die digital und ortsunabhängig agiert.
Inklusion und Flexibilität durch digitale Formate
Ein großer Vorteil des digitalen Ehrenamtes ist die Inklusion, so können sich beispielsweise Menschen mit Mobilitätseinschränkungen problemlos einbringen: „Das digitale Ehrenamt im VOST ist wie geschaffen für die Inklusion,“ sagt Tondorf. Die flexible Zeiteinteilung und die Vielfalt der Aufgaben ermöglichen individuelle Schwerpunkte und fördern eine breite gesellschaftliche Teilhabe.
Im Gegensatz zu klassischen Vorstellungen von Katastrophenschutz, bei denen oft robustes Equipment im Gelände im Fokus steht, zeigt das VOST, „dass auch jenseits von wasserabweisenden Einsatzstiefeln und stabilen Werkzeugen ein wertvoller Beitrag geleistet werden kann.“ Die digitale Form der Zusammenarbeit schafft neue Zugangswege für Menschen, die sonst kaum die Möglichkeit hätten, aktiv im Bevölkerungsschutz mitzuwirken.

Verleihung der Gründungsurkunde des 1. Virtuellen Ortsverbandes im Rahmen der 75-Jahre-Feier des THW.
Herausforderungen im Einsatz und im System
In über 80 Einsätzen hat das VOST bereits wertvolle Erfahrungen gesammelt. Besonders herausfordernd war die Ahrtalflut 2021, als das Team es mit einer hohen Dynamik, einer riesigen Informationsflut und hoher emotionaler Belastung durch Augenzeugenberichte zu tun hatte. Gleichzeitig sei die Verbreitung gezielter Desinformation ein großes Problem gewesen, das das Vertrauen in Einsatzkräfte untergraben sollte.
Auch die organisatorischen Rahmenbedingungen stellten eine Herausforderung dar: „Eine rein virtuelle Einheit war in den gewachsenen Strukturen des THW zunächst nicht vorgesehen.“ Die kürzliche Gründung des ersten virtuellen Ortsverbands markiere einen „entscheidenden Meilenstein, um zukünftig in die reguläre Struktur des THW integriert zu werden.“ Dies zeigt, wie innovativ und zugleich herausfordernd die Etablierung digitaler Ehrenamtsformen im klassischen Bevölkerungsschutz ist.
Schulung, Übungen und der Weg zur Professionalisierung
Um neue Mitglieder vorzubereiten, setzt das VOST „auf ein eigens entwickeltes, digitales und modulares Lehrkonzept.“ Die spezifischen Anforderungen des digitalen Ehrenamts sind in klassischen THW-Ausbildungsformaten bisher kaum abgebildet. Übungsszenarien seien aufgrund der Besonderheiten des VOST nur schwer realitätsnah simulierbar, weshalb das Team oft „reale Lagen, bei denen wir nicht offiziell eingebunden sind, als Übung“ nutzt. So bleibt die digitale Zusammenarbeit lebendig und die Einsatzfähigkeit wird kontinuierlich weiterentwickelt.
Mehrwert und Perspektiven für das digitale Ehrenamt im Bevölkerungsschutz
Der besondere Mehrwert des digitalen Ehrenamts im Bevölkerungsschutz liegt laut Tondorf darin, „neue Kompetenzen einzubringen, klassische Strukturen zu ergänzen und die Reaktionsgeschwindigkeit zu erhöhen.“ Das VOST schaffe es, „eine Brücke zwischen technischer Innovation und praktischer Einsatzrealität“ zu schlagen. Für die Zukunft sieht er großes Potenzial vor allem in der Nutzung neuer Technologien: „KI-gestützte Auswertungen, automatisierte Prozesse und neue Technologien können künftig entscheidend zur Lagebewältigung beitragen.“ Gleichzeitig warnt er vor Risiken: „KI-generierte Desinformationen werden immer ausgefeilter und können schlimmstenfalls Entscheidungsprozesse verzerren.“ Ein starkes VOST könne dem jedoch entgegenwirken, indem es als „digitaler Sensor“ verlässliche Informationen identifiziere und einordne. Mit dem digitalen Ehrenamt eröffnen sich somit völlig neue Perspektiven für den Bevölkerungsschutz, der sich immer stärker an den Möglichkeiten der digitalen Vernetzung und Informationsverarbeitung orientiert.

Screenshot der digitalen Lagekarte des VOST im Zuge des Winterhochwassers 2023/2024.
Empfehlungen für Einsteigerinnen und Einsteiger
Tondorfs wichtigster Tipp für alle, die sich für ein digitales Ehrenamt interessieren, ist simpel: „Loslegen, denn Ehrenamt beginnt da, wo Kompetenz nicht ungenutzt bleibt!“ Niemand müsse Expertin oder Experte sein, das Team begleite neue Mitglieder von Anfang an. „Das Wichtigste ist die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und Teil eines Teams zu sein, das sich für die Gesellschaft einsetzt.“Abschließend betont Tondorf: „Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern ein Werkzeug. Sie kann Brücken bauen, Teilhabe fördern und unseren Schutz insgesamt verbessern.“ Das VOST habe bereits vielfach gezeigt, dass Engagement „heute viele Gesichter hat – und jedes davon zählt.“
Das VOST zeigt eindrucksvoll, wie digitales Ehrenamt und gesellschaftliches Engagement Hand in Hand gehen – und damit den Bevölkerungsschutz fit für die Zukunft machen. In einer zunehmend vernetzten Welt eröffnen digitale Einsatzmöglichkeiten neue Wege, um den Bevölkerungsschutz flexibler, inklusiver und wirksamer zu gestalten.