16.06.2023 | Gastbeiträge, Interviews
„Für mich ist das Ehrenamt die beste Möglichkeit, den Menschen in Deutschland etwas zurückzugeben.“
Heute sprechen wir mit Alan Wali über sein ehrenamtliches Engagement. Er ist 29 Jahre alt und kommt ursprünglich aus Kobanê in Syrien. 2015 – mit 21 Jahren – ist er aufgrund des Krieges in Syrien nach Deutschland geflohen und lebt seitdem in Kitzingen in Bayern. Im Interview sprechen wir mit ihm über seine Motivation sich neben seinem Job ehrenamtlich zu engagieren.
Alan, seit wann bist du ehrenamtlich engagiert?
Als ich in der vierten Klasse war, begann ich mich ehrenamtlich zu engagieren. Ich komme ursprünglich aus Kurdistan/Syrien und wurde in Kobanê geboren. Während des Krieges habe ich Essen und Kleider an Menschen in Not verteilt, da war ich 17 Jahre alt. Als wir aufgrund der zunehmenden Gewalt 2013 weiter nach Damaskus fliehen mussten, habe ich viel vom Hab und Gut meiner Familie verschenkt. Darauf bin ich sehr stolz. In meiner Heimat gibt es nicht viele Organisationen im Zivil- und Katastrophenschutz, daher habe ich mich häufig privat eingebracht. Seit 2015 lebe ich in Deutschland und habe mich auch hier von Anfang an ehrenamtlich engagiert.
Wie kam es zu diesem Engagement?
Ich bin unglaublich dankbar dafür, dass ich die Chance hatte, nach Deutschland zu kommen. Dafür wollte ich etwas zurückgeben und begann bereits kurz nach meiner Ankunft andere Menschen zu unterstützen. Das war das Mindeste, das ich tun konnte, denn viel mehr als mein Engagement hatte ich nicht zu geben. Auch konnte ich noch kein Deutsch sprechen.
In den ersten beiden Jahren nach unserer Flucht war ich bei der Bahnhofsmission in Würzburg, die ich während meiner Zeit in Kitzingen kennengelernt hatte. Hier habe ich u.a. Essen und Getränke ausgegeben, Kleidung gesichtet und verteilt, oder die Unterkunft für Obdachlose für die Nacht hergerichtet.
Was hat dir das Ehrenamt in dieser Zeit bedeutet?
Das Ehrenamt hat mir von Anfang an extrem viel gegeben! Dadurch habe ich sehr schnell Deutsch gelernt und mein Sprachzertifikat B1 erlangt. Ich wollte mich so schnell wie möglich in die deutsche Gesellschaft einleben. Ein Job schien mir dafür am geeignetsten, weshalb ich viele Bewerbungen für verschiedene Jobs geschrieben und abgeschickt habe. Eines Tages kam eine Freundin aus der Bahnhofsmission zu mir und sagte, dass das örtliche Schwimmbad in Kitzingen einen Rettungsschwimmer suche. Noch am selben Tag habe ich mich beworben und wurde direkt einen Tag später zum Vorstellungsgespräch eingeladen.
Also bist du über dein Ehrenamt zu einem Job gekommen?
Ja, allerdings über Umwege (lacht). Als ich im Schwimmbad für das Vorstellungsgespräch war, fragten sie mich, ob ich schwimmen könnte – was nicht der Fall war. Ich wollte aber unbedingt einen Job, also sagte ich: Ja. Ich wusste ursprünglich gar nicht, was ein Rettungsschwimmer ist und dachte, es wäre eine Arbeit außerhalb des Wassers. Um den Job zu ergattern musste ich allerdings vorschwimmen und nach fünf Metern – die ich wie ein Hund zurücklegte – musste ich die „Vorführung“ abbrechen. Nachdem ich ihnen meine Motivation erklärt hatte, sagten sie mir, dass sie mir das Schwimmen beibringen würden. Und tatsächlich lernte ich innerhalb von zwei Wochen Schwimmen und machte direkt das silberne Schwimmabzeichen für Rettungsschwimmer.
Wow, Gratulation! Wie ging es danach weiter?
Neben meiner Anstellung als Rettungsschwimmer in Kitzingen machte ich eine Ausbildung beim Deutschen Roten Kreuz als Fachsanitäter. Seit 2017 unterstütze ich das DRK in dieser Funktion ehrenamtlich bei Einsätzen sowie bei Bedarf auch in deren Wasserwacht in Kitzingen. Im Rahmen dieser Tätigkeit bilde ich mich natürlich auch kontinuierlich weiter.
Das klingt nach viel Einsatz, den du für dein Ehrenamt erbringst – hast du daneben auch noch Zeit für Freizeitaktivitäten?
Natürlich! Mittlerweile bin ich hauptberuflich zu 100% bei einem Schwimmbad in Würzburg angestellt und gebe dort Schwimmkurse, frische die Becken auf und bereite die Sauna vor –Miete und Rechnungen bezahlen sich immerhin nicht von alleine. Meine Freizeit verbringe ich allerdings fast ausschließlich mit meiner ehrenamtlichen Arbeit. Meine Freunde sagen mir immer wieder, dass ich doch verrückt sei, neben meinem Vollzeitjob so viel Zeit für mein Ehrenamt aufzubringen. Für mich ist das Ehrenamt allerdings mehr als bloß ein Hobby – für mich ist es die beste Möglichkeit, den Menschen in Deutschland etwas zurückzugeben.
Und heute bist du auch bei der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft aktiv – wie bist du zur DLRG e.V. gekommen?
Eines Tages kam ein DLRG-Mitglied zu uns ins Schwimmbad und meinte, dass das Verhältnis bei ihnen sehr familiär sei und die Tätigkeit viel Spaß mache. Da ich noch mehr helfen und mich einbringen wollte, habe ich entschieden, mich anzumelden. So ist nun auch die DLRG seit 2018 wie eine zweite Familie für mich. Hier unterstützt man sich gegenseitig, hat viel Spaß und kann Gutes tun. Mein persönliches Highlight ist es, dass ich jeden Sommer für zwei bis vier Wochen an der Ostsee im zentralen Wasserrettungsdienst ehrenamtlich aktiv bin. Hier bin ich Mitglied der DLRG in Mönchgut. Leider kann ich nicht länger bleiben, weil ich dann wieder Geld verdienen muss (lacht).
Gibt es einen besonderen Moment in deinem Ehrenamt, der dir für immer in Erinnerung bleiben wird?
Vor etwa drei Jahren habe ich im Schwimmbad ein Mädchen gesehen, das mit ihrer Mama Ball gespielt hat. Das Kind war taub und blind – und konnte nicht schwimmen. Also bin ich zu ihrer Mama gegangen und sagte ihr, dass ich ihrer Tochter gerne kostenlos beibringen würde wie man schwimmt. Sie hat zugestimmt und nach drei Monaten konnte das Mädchen schwimmen! Die überglücklichen Gesichter der Mutter und ihrer Tochter werde ich niemals vergessen, das war einfach wundervoll! Noch heute habe ich Kontakt mit den beiden. Es war nicht einfach dem Kind beizubringen wie man schwimmt – speziell bei Menschen mit Behinderung braucht man sehr viel Geduld und Verständnis. Der Aufwand lohnt sich aber sehr!
Gibt es weitere besondere Momente, die du erlebt hast?
Wenn man ehrenamtlich im Zivil- und Katastrophenschutz engagiert ist, erlebt man viele schöne, aber natürlich auch weniger schöne Momente. In meiner Heimat habe ich viel Leid und Tod gesehen – das sind Bilder, die mir nie wieder aus dem Kopf gehen werden. Letztes Jahr konnte ich aber auch eine Frau an der Ostsee wiederbeleben. Wenn ich im Einsatz bin, lautet meine oberste Priorität, anderen zu helfen. Und wenn das funktioniert, ist das natürlich ein sehr erfüllender Moment. Diese Arbeit in Kombination mit der Gemeinschaft bei den Organisationen macht für mich das Ehrenamt so richtig aus.
Du fährst im Juni in deine alte Heimat: Wie kam es dazu und was genau wirst du dort machen?
Dieses Jahr habe ich die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. So stolz und glücklich ich auch darüber bin, man vergisst nie seine Herkunft. Jede Woche sterben Menschen in Syrien, weil sie nicht schwimmen können.
Deshalb fliege ich diesen Sommer für einen Monat zurück, um den Menschen kostenlos das Schwimmen beizubringen. Außerdem möchte ich die Zusammenarbeit zwischen der DLRG und den Wasserorganisationen vor Ort stärken, damit alle voneinander profitieren können. Zudem plane ich eine Maschine zu entwickeln, die Menschen dort beim Schwimmenlernen unterstützt. Um mir diese ehrenamtliche Reise zu finanzieren habe ich mein Auto Anfang des Jahres verkauft. Das macht mich finanziell unabhängig.
Wirst du dein Leben lang ehrenamtlich engagiert bleiben?
Solange ich die Kraft habe, anderen Menschen zu helfen, werde ich mich ehrenamtlich engagieren!
Hast du einen Traum, den du dir noch über das Ehrenamt erfüllen möchtest?
Mein größter Traum ist es, den Bundespräsidenten, Frank-Walter Steinmeier, zu treffen, ihm die Hand zu schütteln und mich bei ihm dafür zu bedanken, dass ich hier in Deutschland leben darf.
Weitere Medien über Alan: DLRG | Mein Weg zum Wasserretter