Im Interview mit Luna Kratzsch Magazin

Heute sprechen wir mit Luna Kratzsch – und das bereits zum zweiten Mal!

2021 haben wir Luna für unseren Videopodcast „Freiwillig busy“ getroffen. Damals hat sie uns – gemeinsam mit Stella vom Deutschen Roten Kreuz – von ihrem ehrenamtlichen Engagement im Bereich Sanität bei der Johanniter-Unfall-Hilfe erzählt. Bereits kurz nach dem Podcast war klar: Wir müssen uns wiedersehen! Jetzt hat es geklappt und wir konnten viele hochspannende Themen vertiefen – angefangen bei Diversität im Ehrenamt über den Umgang mit psychischen Erkrankungen bis hin zur Persönlichkeitsentwicklung. Luna ist selbst von einer Depression und einer Borderline-Persönlichkeitsstörung betroffen. Im Interview verrät sie, wie ihre Erfahrungen im Umgang mit psychischen Erkrankungen im Ehrenamt von Nutzen sein können.

Hallo Luna, erneut ein herzliches Willkommen! 2021 haben wir uns mit Stella und dir zur Podcast-Aufnahme getroffen. Wie ist es dir seitdem bei den Johannitern ergangen?

Sehr gut! Durch den Podcast hat sich tatsächlich noch einiges ergeben. Zum Beispiel habe ich mehrmals als Dozentin mein Wissen über psychische Erkrankungen, und wie wir als Helfende damit umgehen können, weitergegeben – auf Dienstabenden der Johanniter in Oldenburg, aber auch bei anderen Organisationen, zum Beispiel beim DRK in Stade. An meiner Tätigkeit selbst hat sich nicht so viel verändert. Aber ich habe zuletzt in der Planungsgruppe für größere Sanitätsdienste ein bisschen mehr Verantwortung übernommen.

Hast du denn allgemein das Gefühl, das Thema psychische Erkrankungen findet in der Ausbildung im Ehrenamt im Bereich Sanität genug Berücksichtigung?

Ich erlebe schon, dass es einen Wandel gibt, hin zu einem größeren Bewusstsein für das Thema. Auch den Ausbilderinnen und Ausbildern wird zunehmend bewusst, dass die Behandlung des Themas derzeit nicht ausreichend ist. Ein großes Problem ist oft auch der Themenschwerpunkt. Es geht in den Ausbildungen meistens zu einem überwiegenden Teil um das Thema Depression und Suizidalität – aber die Bandbreite an psychischen Erkrankungen ist viel größer. Zudem ist es sehr selten, dass wir in der Ausbildung Menschen haben, die professionelle Expertise aus dem Bereich Psychiatrie besitzen. Und noch viel seltener ist es, dass die Seite der Betroffenen zu Wort kommt.

Umso wichtiger, dass du als Betroffene für Öffentlichkeit sorgst – und mit dem Thema psychische Erkrankungen einen wichtigen Aspekt von Diversität im Ehrenamt einbringst. Wie wird denn dieser breite Begriff ,Diversität‘ deiner Erfahrung nach sonst mit Leben gefüllt?

Das ist zum einen etwas, das bei uns quasi nebenbei passiert – sozusagen durch unseren humanitären Ansatz. Zum anderen habe ich das Gefühl, dass es immer mehr Bestrebungen gibt, das Thema Diversität im Ehrenamt bewusster zu thematisieren. Was wohl damit zusammenhängt, dass die großen Hilfsorganisationen sich dieses Thema immer mehr auf die Fahne schreiben, auch in ihrer Rolle als hauptamtliche Arbeitgeber. Und es gibt viele Initiativen der Organisationen, die darauf abzielen, Diversität im Ehrenamt sichtbarer zu machen, auch zum Zwecke der Mitgliedergewinnung. Auf der anderen Seite spielt das Thema durch den Zustrom von jungen Menschen eine größere Rolle. Diversität wird damit sowohl von oben als auch von unten immer mehr thematisiert.

Du hast im Podcast auch erzählt, dass du persönlich das Gefühl hast, im Ehrenamt auf weniger Barrieren zu stoßen als im Rest der Gesellschaft. Wie erklärst du dir das?

Ich glaube, da spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Zum einen der eben erwähnte humanitäre Ansatz. Das Ehrenamt zeichnet sich ja dadurch aus, dass wir kein Geld dafür bekommen. Wir machen das, weil wir Lust darauf haben – und die Leute, die da sind, haben Spaß an der Sache. Das ist eine ganz andere Motivation, als wenn ich zur Arbeit gehe und dafür Geld bekomme. Somit habe ich aber auch einen höheren Anspruch: Ich will hier genau so sein können, wie ich bin, ich will mich wohlfühlen. Ich glaube, dass es sich dadurch bereits ergibt, dass man ein bisschen offener ist. Und auf der anderen Seite glaube ich, dass das Ehrenamt viele Menschen anzieht, die keinem starren Denken verhaftet sind. Man hat hier keinen elitären Anspruch. Wir sind einfach da, um zu helfen – und nicht, um irgendeine Heldenrolle einzunehmen. Das bedeutet, im Ehrenamt muss sich niemand als etwas ausgeben, das sie oder er nicht ist.

Wenn man im Ehrenamt ganz authentisch man selbst sein kann: Lernt man sich dann auch besser untereinander kennen – insbesondere im Bereich Katastrophenschutz, wo man auch mal in Extremsituationen geraten kann?

Ich glaube, da muss man unterscheiden zwischen dem Einsatz und der Vorbereitung, die ja die meiste Zeit in Anspruch nimmt. Aber natürlich ist man in Einsätzen potenziell extremeren Bedingungen ausgesetzt. Deshalb lernt man sich in Bezug auf den Charakter definitiv ehrlicher kennen, weil natürlich starke Belastungen und extremere Umgebungsbedingungen dazu führen, dass man ein bisschen mehr darauf reduziert ist, wer man eigentlich ist. Diese Authentizität ist aber auch einfach notwendig, um am Ende mit der Belastung umzugehen. Wenn ich mich komplett verstelle, ist es zum Beispiel auch schwierig, darüber zu reden, was mich jetzt vielleicht belastet.

 

Stichwort Umgang mit der eigenen Psyche: Du hattest im Podcast auch erwähnt, dass Menschen, die den Umgang mit einer psychischen Erkrankung gelernt haben, in manchen Situationen sogar einen Vorteil gegenüber denjenigen haben, die das nie gelernt haben. Welche Vorteile siehst du da zum Beispiel bei dir?

Zum einen habe ich eine andere emotionale Sensibilität. Also eine höhere Sensibilität dafür, wie es meinem Gegenüber eigentlich geht. Das kann sowohl im Umgang mit Patienten als auch auch im Umgang mit Kolleginnen und Kollegen sehr hilfreich sein. Zum anderen fällt mir der Umgang mit Menschen mit anderen psychischen Erkrankungen leichter, weil ich deren Lebensrealität besser nachvollziehen kann – selbst wenn das ganz andere Erkrankungen sind. In diesen Situationen fällt es mir leichter, Kontakt aufzubauen und vielleicht auch ein bisschen zu vermitteln, auch hier bei uns im Ehrenamt-Team.

Inwieweit kann das Ehrenamt deiner Meinung nach zur persönlichen Entwicklung beitragen?

Man merkt den Menschen im Ehrenamt wirklich eine Entwicklung an. Man lernt so viele Lebensrealitäten kennen. Ich glaube, das Ehrenamt ist eine der größten Austauschplattformen, die ich aktuell kenne – und die ist im Gegensatz zu den sozialen Medien frei von Algorithmen. Natürlich sind bestimmte Personengruppen überdurchschnittlich vertreten im Ehrenamt. Aber generell ist man mit so vielen unterschiedlichen Lebensrealitäten konfrontiert – und lernt so viel davon, sowohl in Bezug auf die Kolleginnen und Kollegen als auch mit Blick auf die Patienten. Wir sehen die Menschen ja auch in ihren Häusern und Wohnungen und gewinnen einen Einblick in ihr Leben. Wir lernen Menschen kennen, die potenziell alles verloren haben – oder solche, die vielleicht enttäuscht sind, weil ihr Ausflug ein bisschen anders verlaufen ist als gedacht.

Das ist eine große Spannbreite an möglichen Situationen.

Ja, und da wächst man charakterlich sehr dran. Zum einen, weil man diese ganzen Erfahrungen mitnimmt und zum anderen, weil man lernt, individuelle Lösungen zu finden für Probleme, für die man keine Standardlösung parat hat. Oftmals müssen wir überlegen: Wie kommen wir zurecht? Wie können wir die Situation bestmöglich lösen? Und das schafft natürlich ein deutlich größeres Selbstbewusstsein und einen größeren Selbstwert. Dann erlebt man bei eher schüchternen Menschen, dass sie nach einer Weile gar nicht mehr so schüchtern sind. Und umgekehrt lernen sehr selbstsichere Menschen auch, sich realistischer einzuschätzen.

Das klingt sehr spannend. Gibt es im Abschluss noch etwas, das du den Leserinnen und Lesern mitgeben magst?

Ich glaube, der Kern vom Ehrenamt ist, dass wirklich jeder im Ehrenamt sein kann – einfach ausprobieren und wenn es einem Spaß macht, dranbleiben. Wenn eine bestimmte Tätigkeit keinen Spaß mehr macht, kann man jederzeit etwas anderes ausprobieren. Und: Soziale Interaktion tut immer gut. Auch wenn man körperlich nicht mehr ganz so fit ist, kann man immer noch zuhören, reden oder Erfahrungen weitergeben. Das ist genau das, was das Ehrenamt so vielfältig macht: Man hat immer irgendeine Möglichkeit, sich zu beteiligen.