14.07.2023 | Reportage
Spontanhilfe im Ahrtal
Fabian Menzen ist einer von tausenden Spontanhelfenden, die im Sommer 2021 im Ahrtal vor Ort waren. Er packte mit an, als die Not nach der Flutkatastrophe am größten war. Heute berichtet er von seinen Erlebnissen als Spontanhelfer.
Autos, die von Wassermassen weggetrieben werden, als handle es sich um Kinderspielzeug. Brückenpfeiler, die unter dem Druck des Treibgutes einknicken wie Streichhölzer. Ein Trümmerfeld, wo eben noch bezaubernde, intakte Häuser standen. Das Schlimmste aber: die verzweifelten Stimmen der Menschen, die in wenigen Stunden alles verloren haben. Die Bilder der Flutkatastrophe, die ab dem 14. Juli 2021 die Medien beherrschen, wirken surreal, apokalyptisch, unfassbar. Über 180 Menschen überlebten das Jahrhunderthochwasser in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen nicht.
Die größte Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg
Was war der Auslöser der Katastrophe? Im Sommer 2021 tobten extreme Unwetter über Deutschland. Es kam zu massiven Überschwemmungen und Sturzfluten. Mit 135 Toten besonders schlimm betroffen: das Ahrtal. Eine Auswertung des Deutschen Wetterdienstes zeigt, dass allein am Mittwoch, den 14. Juli, mehr Regen gefallen ist als sonst im ganzen Monat. Das Wasser konnte in dem engen Ahrtal nirgends mehr hin. Es zerstörte die gesamte Infrastruktur der Region: die schlimmste Katastrophe seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die völlige Verwüstung des Ahrtals sorgte dafür, dass viele Menschen in Deutschland helfen wollten – sei es per Geld-, Sachspende oder persönlich vor Ort. Einer der vielen tausend Engagierten, die sich für die Spontanhilfe vor Ort entschieden, ist Fabian Menzen, 42 Jahre, Produkt-Manager aus Bonn.
Untätig zugucken war keine Option
Wie so viele andere saß er an diesem Juliabend vorm Fernseher und verfolgte entgeistert die Katastrophe, die sich keine 25 Kilometer von seinem Wohnort entfernt abspielte. Er war zutiefst bestürzt, seine Gedanken kreisten um die Opfer der Flut und deren Angehörige. Seine Sorgen hatten auch einen ganz persönlichen Hintergrund: Teile seines Bekanntenkreises leben im Flut-Gebiet, zunächst war es ungewiss, ob es ihnen gut geht. Doch trotz der Bilder, die uns damals auf allen Kanälen erreicht haben, sagt Fabian, eine Vorstellung, wie es wirklich vor Ort ist, habe er sich in dem Moment nicht machen können. Eines war ihm aber sofort klar: Er kann hier nicht untätig auf dem Sofa sitzen bleiben, er muss helfen. Und das war zunächst relativ einfach. Durch den direkten Kontakt mit den Menschen im Flut-Gebiet wussten er und zahlreiche Freunde sofort, wo sie mit anpacken können. „Wir wussten, wo wir hinmüssen, was es zu tun gibt und welches Material benötigt wird“, beschreibt Fabian seinen Einsatz in der ersten Zeit. Doch in den folgenden Tagen wurde es für ihn immer schwieriger, herauszufinden, wo seine Hilfe am ehesten benötigt wird. Ein weiteres Hindernis: In vielen Gebieten war der Zugang nur eingeschränkt möglich. Es wurde darum gebeten, nicht auf eigene Faust mit dem Auto in das Flutgebiet zu fahren, um die Zugangswege nicht zu verstopfen.
Der „Helfer-Shuttle“: spontane Hilfe, spontan koordiniert
Zu diesem Zeitpunkt wurde Fabian auf die Initiative „Helfer-Shuttle“ aufmerksam. Das Team um „Helfer-Shuttle“ wurde am 17. Juli von zwei Unternehmern aus dem Ahrtal gegründet. Marc Ulrich und Thomas Pütz hatten es sich zur Aufgabe gemacht, die Hilfsbedarfe auf der einen Seite und das Angebot der Freiwilligen auf der anderen Seite zusammenzubringen. Auch für die benötigte Infrastruktur und Logistik sorgte das Projekt, das öffentlichkeitswirksam über die sozialen Medien kommunizierte. „Das Team hat da in kürzester Zeit eine Mammut-Aufgabe bewältigt und koordiniert“, so Fabian. Auf diese Weise hatten die Freiwilligen den Kopf frei, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: ihre Hilfe. Zudem konnten sie sicher sein, dass ihr Engagement auch genau dort ankommt, wo sie benötigt wird. Und so fand sich Fabian an einem Dienstag gegen 9 Uhr mit hunderten weiteren Freiwilligen in Grafschaft-Ringen am Treffpunkt im Gewerbegebiet ein. Von dort wurden täglich tausende Helfer gezielt an Einsatzorte ins Ahrtal gebracht.
Im Einsatz gegen den Schlamm
Die „Standard-Ausrüstung“ der Freiwilligen? Eimer, Besen, Schaufel, Handschuhe und Gummistiefel. Bei Letzteren stellte Fabian schnell fest: „Meine Gummistiefel sind eher fürs Segeln gedacht. Die kamen mit den Bedingungen schnell an ihre Grenzen.“ Doch zum Glück gab es auch zahlreiche Sachspenden: So bekam Fabian bereits früh robustere Gummistiefel mit einer Metall-Einlegesohle zur Verfügung gestellt – Schnitte und Stiche konnte er so besser abwenden. An insgesamt acht Tagen hat Fabian im Ahrtal mit angepackt: Die meiste Zeit hat er gegen den allgegenwärtigen Schlamm gekämpft. Manchmal hat er auch dabei geholfen, stark beschädigte Häuser zu entkernen beziehungsweise darauf vorzubereiten. „Einmal waren wir im Mündungsbereich der Ahr und haben gefühlt tausende Getränkekisten und -flaschen aus dem Uferbereich eingesammelt.“
Hilfe geht vor: Freistellung von der Arbeit möglich
Meist war er am Wochenende im Ahrtal, um zu helfen. Hin und wieder hat er auf das Angebot seines Arbeitgebers zurückgegriffen und sich von der Arbeit freistellen lassen. Und Fabians Arbeitgeber war keine Ausnahme: In den ersten Tagen und Wochen nach der Katastrophe stellten viele lokale Privatunternehmen und Behörden ihre Angestellten für die spontane Hilfe in den Flutgebieten frei, beispielsweise über Sonderurlaub. Wer sich bei der Freiwilligen Feuerwehr oder beim THW engagiert, kann sich auf eine gesetzliche Regelung verlassen: So muss der Arbeitgeber die Ehrenamtlichen bei einer Alarmierung während der Arbeitszeit freistellen. Zudem ist festgelegt, dass in einem solchen Fall keine beruflichen Nachteile entstehen dürfen. Die Stunden müssen nicht nachgearbeitet werden, auch muss für den Einsatz kein Urlaub genommen werden. Beim THW regelt ein Bundesgesetz die Details, bei der Freiwilligen Feuerwehr gilt das jeweilige Landesgesetz über den Brandschutz. Helferinnen und Helfer der weißen Organisationen (der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft, des Deutschen Roten Kreuz, der Johanniter-Unfall-Hilfe, dem Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland e.V., dem Malteser Hilfsdienst) werden bei Feststellung des Katastrophenfalls durch den Landkreis oder die kreisfreie Stadt ebenfalls freigestellt. Weitere Infos können im Magazin-Beitrag zur Helfendengleichstellung im Ehrenamt nachgelesen werden.
„Eine beeindruckende Erfahrung“
Das Fazit seines Einsatzes? „Es hat gutgetan, aktiv zu werden und helfen zu können. Das hat mir ein wenig das Gefühl der Ohnmacht bei der Katastrophe genommen.“ Zudem habe Fabian gespürt, wie wichtig sein Engagement und das der anderen für die Betroffenen vor Ort war – als Signal, dass die Menschen nicht alleine sind mit der Katastrophe. So habe die Hilfe auch ein wenig Trost spenden können. Zudem sei ein großartiges Gemeinschaftsgefühl entstanden: „Der Zusammenhalt unter den Menschen zu dieser Zeit war unbeschreiblich. Da hat es nicht gezählt, wo jemand herkommt oder was er macht. Jeder hat getan, was er kann.“
Fabian ist sich heute sicher, dass er sich jederzeit wieder als spontaner Helfer engagieren würde. Gleichzeitig betont er, dass es wichtig sei, seine Stärken und Schwächen gut einzuschätzen. Schließlich wisse man häufig nicht, was genau einen vor Ort erwartet. Dabei haben Fabian sowohl das spontane Engagement des „Helfer-Shuttles“ als auch die professionelle Hilfe beeindruckt: „Der Einsatz von Polizei, Feuerwehr, Bundeswehr, THW, DRK und vielen anderen war mehr als beeindruckend.“ Doch am nachhaltigsten geprägt hat ihn die Reaktion der Menschen vor Ort: „Wie viele Betroffene trotz des Verlusts und der Verzweiflung gefasst und geordnet mit der Situation umgegangen sind – das war eine beeindruckende Erfahrung.“