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  • | Bericht

    BBK-Fotowettbewerb: Die Sieger im Gespräch – Teil 2

    Sebastian Ohneseit – ASB Heute in der Leitung: Sebastian Ohneseit. Er ist auf dem Siegerbild aus Karlsruhe zu sehen. Doch der eigentliche Held des Fotos hat vier Pfoten und eine absolut zuverlässige Spürnase: Australian Shepherd Paul, seines Zeichens Rettungshund. Herrchen und Rettungshundeführer Sebastian erzählt uns heute, was er beruflich macht, wie er zum Ehrenamt kam, warum die Arbeit in der Rettungshundestaffel etwas ganz Besonderes ist – und natürlich die Geschichte hinter dem Foto. „Wenn ein Elektroauto brennt, bin ich – aus fachlicher Sicht – begeistert!“, so Sebastian, 28 Jahre jung, Diplom-Ingenieur für Maschinenbau und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Karlsruher Institut für Technologie. Dort forscht er im Bereich angewandte Materialien zur Sicherheit und zum thermischen Durchgehen von Lithium-Ionen-Batterien und wie man dieses verhindern oder kontrollieren kann. Brände und Explosionen sind in seinem Berufsalltag also etwas ganz Natürliches. Doch mit Feuer kam er nicht erst als Ingenieur in Berührung. Bereits mit zehn Jahren trat er in die Jugendfeuerwehr ein. „Früher ging es leider nicht“, so Sebastian. Dieses Ehrenamt sei von Anfang an seine absolute Leidenschaft gewesen. Die Liebe zu Hunden erwachte bei der Feuerwehr Auch im Erwachsenenalter blieb er diesem treu. So war er während des Studiums in Kaiserslautern bei der Feuerwehr in der Innenstadt aktiv und sammelte dort Einsatzerfahrung. Die Feuerwehr brachte ihn auch mit seiner zweiten großen Leidenschaft in Berührung: die Arbeit mit Hunden. Sein erster Kontakt mit der Rettungshundestaffel fand während eines Sucheinsatzes als Feuerwehrmann statt: „Ich war sofort begeistert und wollte dort mitmachen!“ Leider ließen sich Hund und Studium schwerlich vereinbaren. Doch sobald Sebastian ins Berufsleben startete, machte er Nägel mit Köpfen und meldete sich bei der Rettungshundestaffel, um sich die Arbeit genauer anzuschauen – doch nach wie vor ohne Hund. „Normalerweise hat man erst den Hund und geht dann zur Rettungshundestaffel. Deshalb wurde ich zuerst komisch angeschaut. Doch ich wollte ja direkt den richtigen Hund für die Arbeit in der Staffel auswählen.“ Die Wahl fiel auf einen Australian Shepherd: Paul, der Held des Gewinnerfotos. Der Hund schafft, was keine Technik kann Doch bis Paul als Shootingstar glänzen sollte, war es ein langer Weg, den Hund und Herrchen gemeinsam gemeistert haben. In ganz Karlsruhe gibt es etwa ein Dutzend ausgebildete Rettungshunde. Zwei bis drei Jahre dauert die anspruchsvolle Ausbildung. Der Grund: „Der Hund muss funktionieren. Wenn wir sagen, der Waldabschnitt ist leer, dann sucht dort keiner mehr. Wir haben keinen Raum für Fehler. Wir verlassen uns auf die Nase der Hunde.“ Eine große Leistung der Tiere und so steht Paul ganz zu Recht im Mittelpunkt des Gewinnerfotos. Sebastian macht deutlich: „Rettungshunde retten Menschenleben. Unsere Hunde können etwas, das keine Technik kann. Das ist ein Einsatzmittel, das man nicht ersetzen kann.“ Hartes Training führt zum Ziel Wer so viel Verantwortung trägt, muss natürlich auch fleißig trainieren. Wie genau sieht das Trainingspensum von Sebastian und Paul aus? „Mittwochabend trainieren wir ungefähr drei Stunden. Und samstags fünf bis sieben Stunden. Dazu kommt das private Training mit dem Hund zu Hause und die Verpflichtungen für den Bevölkerungsschutz. Sanitätsdienste, Lehrgänge für die Rettungshundearbeit und den Katastrophenschutz und natürlich Einsätze.“ 2020 ist Sebastian Rettungssanitäter geworden, 2022 Rettungshundeausbilder, im selben Jahr übernahm er auch die Leitung der Rettungshundestaffel. Doch wie genau funktioniert die Arbeit der Rettungshundestaffel? In welchen Bereichen werden die Hunde trainiert? Sebastian berichtet: „Es gibt vier Sparten: Wassersuche, Mantrailing, Flächensuche und die Trümmersuche. Wir arbeiten in der Flächensuche, die meist in Wald und Wiese abläuft.“ Wird beispielsweise eine Person vermisst, wird die Rettungshundestaffel von der Polizei alarmiert und Suchgebiete werden festgelegt. „Und wir planen dann die am besten geeignete Taktik zum Absuchen für das Gebiet. Dabei muss neben der Topographie zum Beispiel auch die Windrichtung beachtet werden, da diese relevant für die Aufnahme der Witterung durch die Hunde ist. Der Hund hat in seiner Ausbildung gelernt, die für ihn sehr gut wahrnehmbaren Geruchspartikel, die jeder Mensch abgibt und die vom Wind verteilt werden, gezielt auszuarbeiten und zur Person hin zurück zu verfolgen. Wie kam es zu dem eingereichten Foto? Die Fotografie betreibt Sebastian als Hobby. Während seines Studiums hat er in Frankreich ein Fremdmodul zum Thema Fotografie belegt – und auch hier Feuer gefangen. Dabei lassen sich Hobby und Ehrenamt gut verbinden: „Wir nehmen regelmäßig die Kamera mit ins Feld. Einfach um unsere Arbeit zeigen zu können. Schließlich sind wir jede Woche viele Stunden im Wald. Da ist es oft einfacher, Freunden und Familie mit einem Bild zu erklären, was wir da eigentlich machen.“ Da Sebastian auf dem Gewinnerfoto als Hundeführer zu sehen ist, hat er das Bild nicht selbst aufgenommen: „Wir arbeiten in Training und Einsatz sehr eng mit der Rettungshundestaffel des Malteser Hilfsdiensts zusammen, eine Kooperation, von der beide Seiten profitieren. Wir unterstützen uns personell und können im Einsatz für die jeweils andere Organisation als Führungskräfte fungieren. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit bildeten wir ein Team des Malteser Hilfsdienstes in der Flächensuche aus. Ein Hundeführer, der in diesem Suchdurchgang als vermisste Person fungierte, hat das Bild aus dieser Perspektive aufgenommen.“ Er führt fort: „Ich wollte bei diesem Bild die ungewöhnliche Perspektive aus Sicht eines Geretteten zeigen, den Moment der Erlösung, wenn die Hilfe, hier die Einsatzkräfte von ASB und Malteser, eintreffen. Und scheinbar hat die Idee so überzeugt, dass wir es mit dem Bild ins Voting geschafft haben. Ein weiterer Beweis dafür, dass bei der Zusammenarbeit von Hilfsorganisationen richtig Gutes herauskommt.“ Die heiße Phase des Votings Im Voting hat Sebastian sämtliche Social-Media-Kanäle zum Abstimmen motiviert. Und das Engagement hat sich ausgezahlt. Und zwar nicht nur, weil das Foto am Ende zu den Siegerfotos zählte. Die Aufmerksamkeit, die der Fotowettbewerb und das Voting generierten, wusste Sebastian für sich und seine tierischen Freunde zu nutzen. „Als es hieß, wir sind im Voting, habe ich sofort an die Öffentlichkeitsarbeit des ASB Karlsruhe geschrieben. Es wurde dann spannend: Plötzlich waren Geschäftsführer und weitere Hauptamtliche involviert und ich durfte von unserer Rettungshundestaffel berichten.“ Auf einmal richtete sich die geballte Aufmerksamkeit auf die Rettungshundearbeit. Neben dem ASB Karlsruhe hat der Landesverband einen Beitrag als Story auf Tik Tok gebracht, der Bundesverband hat einen Post auf seiner Instagramseite veröffentlicht. Sebastian blickt zufrieden auf die Erfolge des Fotowettbewerbs zurück: „Ich denke, dass wir mit dem Wettbewerb viele Menschen erreichen, für das Thema Bevölkerungsschutz interessieren und für eine besondere Facette davon sensibilisieren konnten.“ Kann jeder bei der Hundestaffel mitmachen? Und was, wenn auf einmal ganz viele Menschen zur Rettungshundestaffel wollen? Ist das überhaupt etwas für alle? Grundsätzlich ja, findet Sebastian. „Man muss körperlich in der Lage sein, sich im Wald auch querfeldein gut bewegen zu können – und sich dabei nach Möglichkeit nicht verlaufen“, ergänzt er augenzwinkernd. „Die schwierigste Anforderung ist bei uns vermutlich der Zeitaufwand und die Arbeit mit dem Hund. Die Hunde merken sofort, wenn man nervös oder unausgeglichen ist – das kann die Arbeit deutlich erschweren.“ Zudem schaffe es nicht jeder, wöchentlich zehn Stunden und mehr für sein Ehrenamt aufzubringen. Doch es gibt bei der Rettungshundestaffel auch andere Aufgaben als die des Hundeführers. „Man kann bei uns auch als Helfer ohne Hund mitmachen, ganz wie es die eigene Zeit hergibt. Oder man unterstützt uns von technischer Seite. Wir finden für jeden Interessierten das passende Ehrenamt.“ Ein Ehrenamt für die ganze Familie Dabei trifft auch auf Sebastian zu, was viele Ehrenamtliche berichten: Das Ehrenamt ist auch Familiensache. Seine Frau ist ebenfalls in der Staffel aktiv. So verbringen sie ihre freie gemeinsame Zeit häufig im Ehrenamt. „Wenn man Paul noch mitrechnet, ist die ganze Familie bei der Hundestaffel.“ Und auch die Staffelkollegen seien zu Freunden geworden. Dabei sei das Ehrenamt einfach eine ganz andere Welt als die Arbeit im Labor – und genau deshalb so bereichernd. Sebastian berichtet von einem nächtlichen Sucheinsatz im Sturm in der letzten Woche. Bei der intensiven Suche unter einem von Blitzen erleuchteten Himmel bleibt kein Platz für Alltagssorgen. Sebastian bekräftigt: „Da hat man keine Zeit, um über anstehende Vorträge oder Versuchsreihen nachzudenken, man ist voll konzentriert, um den Einsatzauftrag bestmöglich zu erfüllen.“ Neben dem Ausgleich zur Arbeit sei das Ehrenamt noch aus einem anderen Grund wertvoll: „Ein Blaulichtehrenamt hilft wirklich dabei, eine andere Perspektive zu entwickeln, Kompetenzen für das ganze Leben und Fachwissen zu erhalten.“ Und auf den Hund kann man dadurch auch kommen. Sebastian und Paul sind mit ihrem Gewinnerbild in den Ausstellungen „Held:innen von nebenan – Ehrenamtliche im Porträt“ in Kiel, Koblenz und Chemnitz zu sehen.
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  • | Bericht

    BBK-Fotowettbewerb: Die Sieger im Gespräch – Teil 1

    Ralf Kosse – THW Unter dem Motto „Dein Foto für uns alle“ veranstaltete das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) einen Fotowettbewerb. Jeder durfte ein Foto einreichen – unter der Bedingung, dass dieses einen Bezug zum Ehrenamt im Zivil- und Katastrophenschutz aufweist. Von 134 eingereichten Fotos stellten sich die 20 besten Bilder online einem Community-Voting. Einer der Fotografierenden, die sich mit ihren Bildern durchgesetzt haben, ist Ralf Kosse. Er ist ehrenamtlich beim THW engagiert, sein Bild konnte über 4.000 Stimmen auf sich vereinen. Wir haben Ralf Kosse zum Gespräch getroffen – um ihn zu seinem Erfolg zu beglückwünschen und ein paar Hintergrundinformationen aus erster Hand zu erhalten. Wir treffen Ralf online. Er befindet sich aktuell im Urlaub und empfängt uns aus seiner Ferienwohnung zum Gespräch. Den Urlaub kann er derzeit gut gebrauchen, denn in der Heimat steckt er mitten in den Renovierungsarbeiten seines Hauses. Auf den Fortschritt der Bauarbeiten angesprochen, antwortet er lachend: „Einer der Vorteile, THWler zu sein: Man lernt mit Bohrmaschine und Co. umzugehen. Wände aufstemmen, Estrich verlegen und einiges mehr werde ich wohl selber machen.“ Von Bergungsgerät bis Kamera Ralf ist seit vielen Jahren ehrenamtlich beim THW tätig. Mit 12 Jahren startete er im Jahr 1991 in der Jugendgruppe des THW Gronau. 1997 absolvierte er seine Grundausbildung, später wurde er Truppführer in der „Zweiten Bergungsgruppe“. Einige Jahre später war er Truppführer in der „Fachgruppe Elektroversorgung“, ein Jahr lang stellte er vertretungsweise auch deren Gruppenführer. Seit 2017 ist er Beauftragter für die Öffentlichkeitsarbeit des ungefähr 85 Personen starken Ortsverbands Gronau. Dafür begleitet er häufig Übungen und Einsätze „seines“ THW mit der Kamera. Im Umgang mit der Kamera ist er also geübt. Wie kam es zum Gewinnerfoto? „Ich hörte von dem BBK-Fotowettbewerb, als bei uns im Ortsverband die Pressemitteilung des BBK eingegangen ist.“ Ralf war sofort überzeugt davon, sein Glück zu versuchen. Eine Idee für die Einreichung war schnell gefunden: Das THW Gronau hatte vor einigen Monaten ein Shooting anlässlich des Muttertags veranstaltet. Damals sind ganz unterschiedliche Fotos für die Webseiten sowie die Facebookseite entstanden. Zwei Helferinnen, die bereits Mütter sind, wurden bei verschiedenen Szenarien fotografiert. Dabei ist auch das Gewinnerfoto entstanden, von dem Ralf sich ganz sicher war: „Das ist doch genau das Richtige für diesen Wettbewerb!“ Ein Ehrenamt für die ganze Familie Auf dem Foto zu sehen: THW-Mitglied Melissa mit ihrer kleinen Tochter Rieke, die ein THW-T-Shirt, Helm und Stiefel anprobiert – alles noch ein wenig überdimensioniert für das Kleinkind, umso niedlicher wirkt die Szene. Auch Melissas Ehemann Torsten ist beim THW aktiv. „Und bei Rieke ist es vermutlich auch nur eine Frage der Zeit“, so Ralf, „die drei sind das beste Beispiel für Familien beim THW. Das gibt es nicht nur bei uns, sondern in vielen Ortsverbänden.“ Auch in vielen anderen ehrenamtlich aufgebauten Organisationen seien Familien keine Seltenheit. Man verbringe dort viel Zeit und oft finde man auch neue Freunde. Für einige wird das Ehrenamt sogar zu einer zweiten Heimat. Kein Männerverein mit schwerem Gerät Ralf berichtet, dass der Ortsverband in Gronau mit zwanzig Prozent Frauen eine überdurchschnittliche Frauenquote hat. Das spiegelt zwar das Verhältnis im Rest der Bevölkerung noch nicht wider, aber Ralf ist sich sicher, dass das THW die besten Voraussetzungen mitbringt, die Zahlen weiter zu erhöhen: „Da ist noch was zu holen! Das THW ist kein reiner Männerverein mit schwerem Gerät. Bei uns ist Frausein überhaupt kein Thema, die 50er Jahre sind längst vorbei. Bei uns fahren selbstverständlich auch die Helferinnen die richtig großen Lkw und stehen an der Seilwinde.“ Ralf ist überzeugt, dass die Gesellschaft in puncto Geschlechterparität noch Arbeit vor sich hat. Mit dem Einreichen des Fotos wollte er gewissermaßen mit gutem Beispiel vorangehen. „Und ich dachte: Fotos mit Kindern sind doch immer gut“, ergänzt er grinsend. Ein knappes Rennen Die Jury hat sich mit der Bewertung der Bilder wahrlich nicht leichtgetan. Insbesondere bei den oberen Plätzen waren die Punktabstände äußert knapp. Umso stolzer kann Ralf über den Erfolg seines Fotos sein – wobei es nach der Vorauswahl durch die Jury auch im Community-Voting überzeugen musste. Wie hat Ralf es geschafft, möglichst viele Menschen zur Abstimmung zu motivieren? „Ich habe erstmal Familie und Kollegen abgegrast und in alle WhatsApp-Gruppen geschrieben.“ Den Internetauftritt seines THW-Ortsverbandes Gronau habe er bewusst nicht als Werbeplattform verwendet: „Das fand ich unfair. Es ging ja schließlich um mich als Fotograf und nicht um mich als THWler.“ Gronau geht viral Aber es gebe zwei Facebook-Gruppen für die Stadt Gronau. Dort habe er das Foto gepostet. Vor dem Post waren es zwei- bis dreihundert Stimmen – nicht mal eine Stunde nach dem Post waren es 1.200. Ralf freut sich noch heute über diesen Erfolg: „Es wurde gevotet, was das Zeug hält. Hier haben alle Gronauer zusammengehalten und sich gegenseitig angestachelt, noch mehr Stimmen zu bekommen.“ Hat sich der Erfolg im Internet auch schon in der analogen Welt bemerkbar gemacht? „Torsten, Melissas Mann, hat mir neulich erzählt, er wurde bei der Arbeit schon darauf angesprochen. Mensch, auf dem Foto, das ist doch deine Frau, oder?“ Alle können helfen Zum Ende des Gesprächs fragen wir Ralf, ob er noch eine Botschaft für die Leserinnen und Leser habe. Seine prompte Antwort: „Ich habe es immer als sehr hilfreich empfunden, Menschen mit verschiedenen Denkweisen und Hintergründen im Team zu haben. Es gibt im THW viel mehr Aufgaben, als nur schwere Maschinen und Trennschleifer zu bedienen. Das Ehrenamt kann eine Heimat für einfach jeden sein. Und jeder kann helfen.“
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  • | Interviews

    Im Interview mit Luna Kratzsch

    Heute sprechen wir mit Luna Kratzsch – und das bereits zum zweiten Mal! 2021 haben wir Luna für unseren Videopodcast „Freiwillig busy“ getroffen. Damals hat sie uns – gemeinsam mit Stella vom Deutschen Roten Kreuz – von ihrem ehrenamtlichen Engagement im Bereich Sanität bei der Johanniter-Unfall-Hilfe erzählt. Bereits kurz nach dem Podcast war klar: Wir müssen uns wiedersehen! Jetzt hat es geklappt und wir konnten viele hochspannende Themen vertiefen – angefangen bei Diversität im Ehrenamt über den Umgang mit psychischen Erkrankungen bis hin zur Persönlichkeitsentwicklung. Luna ist selbst von einer Depression und einer Borderline-Persönlichkeitsstörung betroffen. Im Interview verrät sie, wie ihre Erfahrungen im Umgang mit psychischen Erkrankungen im Ehrenamt von Nutzen sein können. Hallo Luna, erneut ein herzliches Willkommen! 2021 haben wir uns mit Stella und dir zur Podcast-Aufnahme getroffen. Wie ist es dir seitdem bei den Johannitern ergangen? Sehr gut! Durch den Podcast hat sich tatsächlich noch einiges ergeben. Zum Beispiel habe ich mehrmals als Dozentin mein Wissen über psychische Erkrankungen, und wie wir als Helfende damit umgehen können, weitergegeben – auf Dienstabenden der Johanniter in Oldenburg, aber auch bei anderen Organisationen, zum Beispiel beim DRK in Stade. An meiner Tätigkeit selbst hat sich nicht so viel verändert. Aber ich habe zuletzt in der Planungsgruppe für größere Sanitätsdienste ein bisschen mehr Verantwortung übernommen. Hast du denn allgemein das Gefühl, das Thema psychische Erkrankungen findet in der Ausbildung im Ehrenamt im Bereich Sanität genug Berücksichtigung? Ich erlebe schon, dass es einen Wandel gibt, hin zu einem größeren Bewusstsein für das Thema. Auch den Ausbilderinnen und Ausbildern wird zunehmend bewusst, dass die Behandlung des Themas derzeit nicht ausreichend ist. Ein großes Problem ist oft auch der Themenschwerpunkt. Es geht in den Ausbildungen meistens zu einem überwiegenden Teil um das Thema Depression und Suizidalität – aber die Bandbreite an psychischen Erkrankungen ist viel größer. Zudem ist es sehr selten, dass wir in der Ausbildung Menschen haben, die professionelle Expertise aus dem Bereich Psychiatrie besitzen. Und noch viel seltener ist es, dass die Seite der Betroffenen zu Wort kommt. Umso wichtiger, dass du als Betroffene für Öffentlichkeit sorgst – und mit dem Thema psychische Erkrankungen einen wichtigen Aspekt von Diversität im Ehrenamt einbringst. Wie wird denn dieser breite Begriff ,Diversität‘ deiner Erfahrung nach sonst mit Leben gefüllt? Das ist zum einen etwas, das bei uns quasi nebenbei passiert – sozusagen durch unseren humanitären Ansatz. Zum anderen habe ich das Gefühl, dass es immer mehr Bestrebungen gibt, das Thema Diversität im Ehrenamt bewusster zu thematisieren. Was wohl damit zusammenhängt, dass die großen Hilfsorganisationen sich dieses Thema immer mehr auf die Fahne schreiben, auch in ihrer Rolle als hauptamtliche Arbeitgeber. Und es gibt viele Initiativen der Organisationen, die darauf abzielen, Diversität im Ehrenamt sichtbarer zu machen, auch zum Zwecke der Mitgliedergewinnung. Auf der anderen Seite spielt das Thema durch den Zustrom von jungen Menschen eine größere Rolle. Diversität wird damit sowohl von oben als auch von unten immer mehr thematisiert. Du hast im Podcast auch erzählt, dass du persönlich das Gefühl hast, im Ehrenamt auf weniger Barrieren zu stoßen als im Rest der Gesellschaft. Wie erklärst du dir das? Ich glaube, da spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Zum einen der eben erwähnte humanitäre Ansatz. Das Ehrenamt zeichnet sich ja dadurch aus, dass wir kein Geld dafür bekommen. Wir machen das, weil wir Lust darauf haben – und die Leute, die da sind, haben Spaß an der Sache. Das ist eine ganz andere Motivation, als wenn ich zur Arbeit gehe und dafür Geld bekomme. Somit habe ich aber auch einen höheren Anspruch: Ich will hier genau so sein können, wie ich bin, ich will mich wohlfühlen. Ich glaube, dass es sich dadurch bereits ergibt, dass man ein bisschen offener ist. Und auf der anderen Seite glaube ich, dass das Ehrenamt viele Menschen anzieht, die keinem starren Denken verhaftet sind. Man hat hier keinen elitären Anspruch. Wir sind einfach da, um zu helfen – und nicht, um irgendeine Heldenrolle einzunehmen. Das bedeutet, im Ehrenamt muss sich niemand als etwas ausgeben, das sie oder er nicht ist. Wenn man im Ehrenamt ganz authentisch man selbst sein kann: Lernt man sich dann auch besser untereinander kennen – insbesondere im Bereich Katastrophenschutz, wo man auch mal in Extremsituationen geraten kann? Ich glaube, da muss man unterscheiden zwischen dem Einsatz und der Vorbereitung, die ja die meiste Zeit in Anspruch nimmt. Aber natürlich ist man in Einsätzen potenziell extremeren Bedingungen ausgesetzt. Deshalb lernt man sich in Bezug auf den Charakter definitiv ehrlicher kennen, weil natürlich starke Belastungen und extremere Umgebungsbedingungen dazu führen, dass man ein bisschen mehr darauf reduziert ist, wer man eigentlich ist. Diese Authentizität ist aber auch einfach notwendig, um am Ende mit der Belastung umzugehen. Wenn ich mich komplett verstelle, ist es zum Beispiel auch schwierig, darüber zu reden, was mich jetzt vielleicht belastet.   Stichwort Umgang mit der eigenen Psyche: Du hattest im Podcast auch erwähnt, dass Menschen, die den Umgang mit einer psychischen Erkrankung gelernt haben, in manchen Situationen sogar einen Vorteil gegenüber denjenigen haben, die das nie gelernt haben. Welche Vorteile siehst du da zum Beispiel bei dir? Zum einen habe ich eine andere emotionale Sensibilität. Also eine höhere Sensibilität dafür, wie es meinem Gegenüber eigentlich geht. Das kann sowohl im Umgang mit Patienten als auch auch im Umgang mit Kolleginnen und Kollegen sehr hilfreich sein. Zum anderen fällt mir der Umgang mit Menschen mit anderen psychischen Erkrankungen leichter, weil ich deren Lebensrealität besser nachvollziehen kann – selbst wenn das ganz andere Erkrankungen sind. In diesen Situationen fällt es mir leichter, Kontakt aufzubauen und vielleicht auch ein bisschen zu vermitteln, auch hier bei uns im Ehrenamt-Team. Inwieweit kann das Ehrenamt deiner Meinung nach zur persönlichen Entwicklung beitragen? Man merkt den Menschen im Ehrenamt wirklich eine Entwicklung an. Man lernt so viele Lebensrealitäten kennen. Ich glaube, das Ehrenamt ist eine der größten Austauschplattformen, die ich aktuell kenne – und die ist im Gegensatz zu den sozialen Medien frei von Algorithmen. Natürlich sind bestimmte Personengruppen überdurchschnittlich vertreten im Ehrenamt. Aber generell ist man mit so vielen unterschiedlichen Lebensrealitäten konfrontiert – und lernt so viel davon, sowohl in Bezug auf die Kolleginnen und Kollegen als auch mit Blick auf die Patienten. Wir sehen die Menschen ja auch in ihren Häusern und Wohnungen und gewinnen einen Einblick in ihr Leben. Wir lernen Menschen kennen, die potenziell alles verloren haben – oder solche, die vielleicht enttäuscht sind, weil ihr Ausflug ein bisschen anders verlaufen ist als gedacht. Das ist eine große Spannbreite an möglichen Situationen. Ja, und da wächst man charakterlich sehr dran. Zum einen, weil man diese ganzen Erfahrungen mitnimmt und zum anderen, weil man lernt, individuelle Lösungen zu finden für Probleme, für die man keine Standardlösung parat hat. Oftmals müssen wir überlegen: Wie kommen wir zurecht? Wie können wir die Situation bestmöglich lösen? Und das schafft natürlich ein deutlich größeres Selbstbewusstsein und einen größeren Selbstwert. Dann erlebt man bei eher schüchternen Menschen, dass sie nach einer Weile gar nicht mehr so schüchtern sind. Und umgekehrt lernen sehr selbstsichere Menschen auch, sich realistischer einzuschätzen. Das klingt sehr spannend. Gibt es im Abschluss noch etwas, das du den Leserinnen und Lesern mitgeben magst? Ich glaube, der Kern vom Ehrenamt ist, dass wirklich jeder im Ehrenamt sein kann – einfach ausprobieren und wenn es einem Spaß macht, dranbleiben. Wenn eine bestimmte Tätigkeit keinen Spaß mehr macht, kann man jederzeit etwas anderes ausprobieren. Und: Soziale Interaktion tut immer gut. Auch wenn man körperlich nicht mehr ganz so fit ist, kann man immer noch zuhören, reden oder Erfahrungen weitergeben. Das ist genau das, was das Ehrenamt so vielfältig macht: Man hat immer irgendeine Möglichkeit, sich zu beteiligen.
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  • | Reportage

    Vereint gegen die Katastrophe

    Spontanhilfe im Ahrtal Fabian Menzen ist einer von tausenden Spontanhelfenden, die im Sommer 2021 im Ahrtal vor Ort waren. Er packte mit an, als die Not nach der Flutkatastrophe am größten war. Heute berichtet er von seinen Erlebnissen als Spontanhelfer. Autos, die von Wassermassen weggetrieben werden, als handle es sich um Kinderspielzeug. Brückenpfeiler, die unter dem Druck des Treibgutes einknicken wie Streichhölzer. Ein Trümmerfeld, wo eben noch bezaubernde, intakte Häuser standen. Das Schlimmste aber: die verzweifelten Stimmen der Menschen, die in wenigen Stunden alles verloren haben. Die Bilder der Flutkatastrophe, die ab dem 14. Juli 2021 die Medien beherrschen, wirken surreal, apokalyptisch, unfassbar. Über 180 Menschen überlebten das Jahrhunderthochwasser in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen nicht. Die größte Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg Was war der Auslöser der Katastrophe? Im Sommer 2021 tobten extreme Unwetter über Deutschland. Es kam zu massiven Überschwemmungen und Sturzfluten. Mit 135 Toten besonders schlimm betroffen: das Ahrtal. Eine Auswertung des Deutschen Wetterdienstes zeigt, dass allein am Mittwoch, den 14. Juli, mehr Regen gefallen ist als sonst im ganzen Monat. Das Wasser konnte in dem engen Ahrtal nirgends mehr hin. Es zerstörte die gesamte Infrastruktur der Region: die schlimmste Katastrophe seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die völlige Verwüstung des Ahrtals sorgte dafür, dass viele Menschen in Deutschland helfen wollten – sei es per Geld-, Sachspende oder persönlich vor Ort. Einer der vielen tausend Engagierten, die sich für die Spontanhilfe vor Ort entschieden, ist Fabian Menzen, 42 Jahre, Produkt-Manager aus Bonn. Untätig zugucken war keine Option Wie so viele andere saß er an diesem Juliabend vorm Fernseher und verfolgte entgeistert die Katastrophe, die sich keine 25 Kilometer von seinem Wohnort entfernt abspielte. Er war zutiefst bestürzt, seine Gedanken kreisten um die Opfer der Flut und deren Angehörige. Seine Sorgen hatten auch einen ganz persönlichen Hintergrund: Teile seines Bekanntenkreises leben im Flut-Gebiet, zunächst war es ungewiss, ob es ihnen gut geht. Doch trotz der Bilder, die uns damals auf allen Kanälen erreicht haben, sagt Fabian, eine Vorstellung, wie es wirklich vor Ort ist, habe er sich in dem Moment nicht machen können. Eines war ihm aber sofort klar: Er kann hier nicht untätig auf dem Sofa sitzen bleiben, er muss helfen. Und das war zunächst relativ einfach. Durch den direkten Kontakt mit den Menschen im Flut-Gebiet wussten er und zahlreiche Freunde sofort, wo sie mit anpacken können. „Wir wussten, wo wir hinmüssen, was es zu tun gibt und welches Material benötigt wird“, beschreibt Fabian seinen Einsatz in der ersten Zeit. Doch in den folgenden Tagen wurde es für ihn immer schwieriger, herauszufinden, wo seine Hilfe am ehesten benötigt wird. Ein weiteres Hindernis: In vielen Gebieten war der Zugang nur eingeschränkt möglich. Es wurde darum gebeten, nicht auf eigene Faust mit dem Auto in das Flutgebiet zu fahren, um die Zugangswege nicht zu verstopfen. Der „Helfer-Shuttle“: spontane Hilfe, spontan koordiniert Zu diesem Zeitpunkt wurde Fabian auf die Initiative „Helfer-Shuttle“ aufmerksam. Das Team um „Helfer-Shuttle“ wurde am 17. Juli von zwei Unternehmern aus dem Ahrtal gegründet. Marc Ulrich und Thomas Pütz hatten es sich zur Aufgabe gemacht, die Hilfsbedarfe auf der einen Seite und das Angebot der Freiwilligen auf der anderen Seite zusammenzubringen. Auch für die benötigte Infrastruktur und Logistik sorgte das Projekt, das öffentlichkeitswirksam über die sozialen Medien kommunizierte. „Das Team hat da in kürzester Zeit eine Mammut-Aufgabe bewältigt und koordiniert“, so Fabian. Auf diese Weise hatten die Freiwilligen den Kopf frei, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: ihre Hilfe. Zudem konnten sie sicher sein, dass ihr Engagement auch genau dort ankommt, wo sie benötigt wird. Und so fand sich Fabian an einem Dienstag gegen 9 Uhr mit hunderten weiteren Freiwilligen in Grafschaft-Ringen am Treffpunkt im Gewerbegebiet ein. Von dort wurden täglich tausende Helfer gezielt an Einsatzorte ins Ahrtal gebracht. Im Einsatz gegen den Schlamm Die „Standard-Ausrüstung“ der Freiwilligen? Eimer, Besen, Schaufel, Handschuhe und Gummistiefel. Bei Letzteren stellte Fabian schnell fest: „Meine Gummistiefel sind eher fürs Segeln gedacht. Die kamen mit den Bedingungen schnell an ihre Grenzen.“ Doch zum Glück gab es auch zahlreiche Sachspenden: So bekam Fabian bereits früh robustere Gummistiefel mit einer Metall-Einlegesohle zur Verfügung gestellt – Schnitte und Stiche konnte er so besser abwenden. An insgesamt acht Tagen hat Fabian im Ahrtal mit angepackt: Die meiste Zeit hat er gegen den allgegenwärtigen Schlamm gekämpft. Manchmal hat er auch dabei geholfen, stark beschädigte Häuser zu entkernen beziehungsweise darauf vorzubereiten. „Einmal waren wir im Mündungsbereich der Ahr und haben gefühlt tausende Getränkekisten und -flaschen aus dem Uferbereich eingesammelt.“ Hilfe geht vor: Freistellung von der Arbeit möglich Meist war er am Wochenende im Ahrtal, um zu helfen. Hin und wieder hat er auf das Angebot seines Arbeitgebers zurückgegriffen und sich von der Arbeit freistellen lassen. Und Fabians Arbeitgeber war keine Ausnahme: In den ersten Tagen und Wochen nach der Katastrophe stellten viele lokale Privatunternehmen und Behörden ihre Angestellten für die spontane Hilfe in den Flutgebieten frei, beispielsweise über Sonderurlaub. Wer sich bei der Freiwilligen Feuerwehr oder beim THW engagiert, kann sich auf eine gesetzliche Regelung verlassen: So muss der Arbeitgeber die Ehrenamtlichen bei einer Alarmierung während der Arbeitszeit freistellen. Zudem ist festgelegt, dass in einem solchen Fall keine beruflichen Nachteile entstehen dürfen. Die Stunden müssen nicht nachgearbeitet werden, auch muss für den Einsatz kein Urlaub genommen werden. Beim THW regelt ein Bundesgesetz die Details, bei der Freiwilligen Feuerwehr gilt das jeweilige Landesgesetz über den Brandschutz. Helferinnen und Helfer der weißen Organisationen (der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft, des Deutschen Roten Kreuz, der Johanniter-Unfall-Hilfe, dem Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland e.V., dem Malteser Hilfsdienst) werden bei Feststellung des Katastrophenfalls durch den Landkreis oder die kreisfreie Stadt ebenfalls freigestellt. Weitere Infos können im Magazin-Beitrag zur Helfendengleichstellung im Ehrenamt nachgelesen werden. „Eine beeindruckende Erfahrung“ Das Fazit seines Einsatzes? „Es hat gutgetan, aktiv zu werden und helfen zu können. Das hat mir ein wenig das Gefühl der Ohnmacht bei der Katastrophe genommen.“ Zudem habe Fabian gespürt, wie wichtig sein Engagement und das der anderen für die Betroffenen vor Ort war – als Signal, dass die Menschen nicht alleine sind mit der Katastrophe. So habe die Hilfe auch ein wenig Trost spenden können. Zudem sei ein großartiges Gemeinschaftsgefühl entstanden: „Der Zusammenhalt unter den Menschen zu dieser Zeit war unbeschreiblich. Da hat es nicht gezählt, wo jemand herkommt oder was er macht. Jeder hat getan, was er kann.“ Fabian ist sich heute sicher, dass er sich jederzeit wieder als spontaner Helfer engagieren würde. Gleichzeitig betont er, dass es wichtig sei, seine Stärken und Schwächen gut einzuschätzen. Schließlich wisse man häufig nicht, was genau einen vor Ort erwartet. Dabei haben Fabian sowohl das spontane Engagement des „Helfer-Shuttles“ als auch die professionelle Hilfe beeindruckt: „Der Einsatz von Polizei, Feuerwehr, Bundeswehr, THW, DRK und vielen anderen war mehr als beeindruckend.“ Doch am nachhaltigsten geprägt hat ihn die Reaktion der Menschen vor Ort: „Wie viele Betroffene trotz des Verlusts und der Verzweiflung gefasst und geordnet mit der Situation umgegangen sind – das war eine beeindruckende Erfahrung.“  
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  • | Porträt

    Vom Ehrenamt in den Beruf

    Sebastian Paroch erzählt uns seinen Weg Mit einem Brief der Bundeswehr im Jahr 2004 ging alles los: Inzwischen ist Sebastian Paroch ganze 18 Jahre im Ehrenamt. Nach langjährigem ehrenamtlichen Engagement arbeitet er seit zwei Jahren hauptamtlich in der Regionalstelle Berlin des THW. Doch wie ist es dazu gekommen? Welche Qualifikationen eignete er sich an, welche Erfahrungen machte er auf seinem „Ehrenamts-Weg“? Und was hat eigentlich die Bundeswehr mit der Sache zu tun? Wir haben mit Sebastian Paroch (38) über seine drei Leben und den Weg vom Ehren- ins Hauptamt gesprochen. Auf Umwegen zum Ehrenamt Bei Sebastian Paroch war es weder das familiäre Umfeld noch der Freundeskreis, der ihn zur Aufnahme seines Ehrenamts bewogen hat. Im Grunde war es eine pragmatische Entscheidung aus beruflichen Gründen: Sebastian arbeitete nach seiner Ausbildung als Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung in einem kleinen Unternehmen. 2004 meldete sich die Bundeswehr bei ihm: Sebastian sollte zum Wehrdienst eingezogen werden. Die Wehrpflicht existierte damals noch und Sebastian hätte mit seinem Dienst bei der Bundeswehr seine Festanstellung in dem kleinen Unternehmen riskiert. Die Alternative nach ausgiebiger Internet-Recherche? Der „Ersatzdienst im Katastrophenschutz“. Er verpflichtete sich für sechs Jahre beim THW Ortsverband Berlin-Lichtenberg. Pro Jahr musste er 120 Stunden absolvieren – damit hatte er einen Weg gefunden, seiner regulären Arbeit weiter nachgehen zu können. Doch dass seine damalige Entscheidung sein (Berufs-)leben von Grund auf umkrempeln würde, damit hätte Sebastian nicht gerechnet. Die Entscheidung fürs THW „Ich fand den Umgang mit Technik sowie die ganzen Möglichkeiten recht spannend“, so Sebastian – und die Stimmung stimmte bereits im Vorabgespräch. Er fühlte sich von Anfang an wohl und startete seine Grundausbildung. Der Beginn einer erfolgreichen „Karriere im Ehrenamt“: Nach seiner eigenen Grundausbildung betreute er die neuen Grundauszubildenden, war Helfer in der Fachgruppe Beleuchtung sowie Helfer in einer Bergungsgruppe. In letzterer wurde er zum Truppführer berufen. Schließlich ging es für ihn als Helfer in den Zugtrupp eines Technischen Zuges. Hier wurde er zunächst Zugtruppführer sowie später Zugführer. Inzwischen bekleidet er diese Position seit annähernd zehn Jahren. Doch nicht nur im Ehrenamt startete Sebastian durch: Auch beruflich wagte er nach fünf Jahren im IT-Bereich einen Neuanfang.  „Ich sage immer: Ich habe drei Leben“ 2009 wechselte Sebastian zur Polizei Berlin. In diesem Beruf arbeitete er – inklusive Aufbaustudium für den gehobenen Dienst – zwölf Jahre lang. Zusätzlich zu seinem Ehrenamt im THW engagierte er sich in dieser Zeit in der Jungen Gruppe der Gewerkschaft der Polizei, später in verschiedenen Bezirksgruppen. 2021 hatte erneut der Zufall seine Hand im Spiel: Passend zum Ende des Studiums bei der Polizei war eine Stelle in der THW Regionalstelle Berlin vakant. Der damalige Regionalstellenleiter kam auf ihn zu und fragte, ob er sich nicht bewerben wolle. Die erste Reaktion? „Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt nie mit dem Gedanken gespielt, hauptamtlich beim THW zu arbeiten, aber ich fand es eine spannende Herausforderung – zudem bin ich ein Freund davon, sich Sachen von allen Seiten anzusehen.“ Schließlich entschloss er sich dazu, es zu versuchen. Die Aufgaben im Hauptamt Sein neuer Jobtitel im Hauptamt: Sachbearbeiter Einsatz in der THW Regionalstelle Berlin. Seine Hauptaufgabe ist die Einsatzkoordination, sprich das Vorbereiten, Durchführen und Nachbereiten von Einsätzen im Regionalbereich Berlin. Seine Verantwortung erstreckt sich auf die Bereiche Einsatz, Ausstattung, Information und Telekommunikation sowie Prüfwesen. Sieben Mitarbeitende stehen ihm in seinem Sachgebiet zur Seite. Doch wer glaubt, Sebastian bliebe im Hauptamt keine Zeit mehr fürs Ehrenamt, der irrt: Sein Ehrenamt als Zugführer übt er weiterhin aus, seit 2021 ist er zusätzlich stellvertretender Landessprecher für Berlin sowie ab und an Gastdozent für verschiedene Lehrgänge an den THW-Ausbildungszentren. Was als pragmatische Lösung zugunsten des damaligen Berufes gestartet war, währt inzwischen 18 Jahre. Sebastians Fazit: „Bisher habe ich kein einziges Jahr bereut.“ „Ein Wechsel lohnt sich auf jeden Fall“ Doch wie leicht fiel ihm der Wechsel vom Ehren- ins Hauptamt? „Als ausgebildeter Zugführer fiel mir die Einarbeitung ins Hauptamt und in den Bereich Einsatz besonders leicht.“ Zudem kam ihm sein „erstes Leben“ als Fachinformatiker im Bereich Information und Telekommunikation zugute. Und über ein Jahrzehnt bei der Polizei bereiteten ihn darauf vor, „die Behörde THW zu verstehen“. Der größte Unterschied zur ehrenamtlichen Tätigkeit? Weniger operative Arbeit, mehr administrative. Da müsse man auch in Kauf nehmen, dass manche Prozesse viel Verwaltungsaufwand erfordern, um ans Ziel zu gelangen. Tipps für Wechselwillige Sebastians Tipp für alle, die ein Wechsel vom Ehrenamt in den Beruf reizt: „Versucht, die Sache ganzheitlich zu betrachten. Es ist ein Unterschied, ob ich meinem Hobby im Ehrenamt nachgehe oder meine Brötchen mit meiner hauptamtlichen Tätigkeit verdiene.“ Man solle sich mit dem Wechsel auf jeden Fall intensiv auseinandersetzen. Im Hauptamt unterliege man beispielsweise Vorgaben, die im Ehrenamt keine Rolle gespielt hätten. Andererseits bekomme man Einblicke, die man vorher nicht gehabt habe – und damit Verständnis für gewisse Prozesse. Ein weiterer Pluspunkt seines Wechsels: Die Akzeptanz und Unterstützung vonseiten der Ehrenamtlichen: „Schließlich ist man einer von ihnen und weiß in der Regel, wovon man spricht.“ Doch wie ist es bei diesem 100-prozentigen Einsatz fürs THW um die Work-Life-Balance bestellt? Zusätzlich zu seiner Vollzeitstelle engagiert sich Sebastian um die 350 Stunden im Jahr ehrenamtlich. Er sieht das Ganze pragmatisch: „Ein Ehrenamt nimmt immer so viel Raum im Leben ein, wie man bereit ist, zu geben.“ Er sagt von sich selbst, dass er „gelegentlich zu umtriebig“ sei – doch die Resonanz aus dem familiären Umfeld und dem Freundeskreis sei durchweg positiv. Alle hätten großen Respekt vor seinem Einsatz im Haupt- und Ehrenamt. Bei diesem großen Engagement ist es kaum verwunderlich, dass er sich auch noch berufsbegleitend weiterbildet: In diesem Jahr will er seinen Master of Arts Sicherheitsmanagement abschließen – vielleicht der Schritt in Leben Nummer vier!
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  • | Interviews

    Vier Fragen an Ralph Tiesler, Präsident des BBK

    Die Bevölkerung ist kein Statist – Ehrenamt bedeutet Mitmachen Millionen Menschen engagieren sich ehrenamtlich und helfen dabei, dass Vereine, Rettungsdienste, aber auch Organisationen wie die freiwillige Feuerwehr oder das THW funktionieren und erfolgreich arbeiten können. Doch es wäre wichtig, dass sich noch mehr Menschen in Deutschland im Ehrenamt engagieren und sich fragen: Was kann ich tun? Warum das Ehrenamt so eine bedeutende Rolle für eine starke und widerstandsfähige Gesellschaft spielt. Wir haben dem Präsidenten des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Herrn Tiesler, vier Fragen zu dem Thema gestellt. Herr Tiesler, wie würde Deutschland ohne ehrenamtliche Helferinnen und Helfer dastehen? „Also, ich denke, ohne die vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer würde unsere Gesellschaft viel weniger Zusammenhalt und Solidarität erfahren. Viele gemeinnützige Organisationen könnten nicht existieren und ich glaube, wichtige Aufgaben im sozialen Bereich, im Sport, in der Kultur oder auch im Umweltschutz könnten nicht bewältigt werden. Deshalb sollten wir uns immer bewusst sein, welche wertvolle Arbeit Ehrenamtliche leisten und ihnen unseren Dank und unsere Anerkennung aussprechen.“ Wie wollen Sie mehr Menschen für eine ehrenamtliche Tätigkeit begeistern? „Wir müssen mehr Aufmerksamkeit auf das Thema lenken und vor allem hervorheben, dass der Zivil- und Katastrophenschutz maßgeblich durch freiwilliges Engagement getragen wird. Unser Slogan der BBK-Kampagne ‚Egal was Du kannst, Du kannst helfen‘ fasst es perfekt zusammen: Es geht nicht darum, Profis und Spezialisten für besondere Einsätze zu finden, sondern jeder hat Fähigkeiten, die gebraucht werden und die er für das Wohl anderer einsetzen kann.“ Wenn wir über Zivil- und Katastrophenschutz sprechen: Wie kann man das Ehrenamt stärken? „Das Ehrenamt muss anerkannt und wertgeschätzt werden. Und unter anderem geschieht dies über den Förderpreis ‚Helfende Hand‘, der jährlich herausragende Projekte ehrt und mit einem Preisgeld auszeichnet. Zugleich braucht es aber auch eine Sensibilisierung und Aufklärung der Bevölkerung, dass die staatliche Hilfe ehrenamtlich und eben nicht hauptamtlich organisiert ist.“ Viele Ehrenamtler engagieren sich für den Schutz der Bevölkerung. Wie lässt sich dieser Schutz allgemein noch verbessern? „Wir wollen Bürgerinnen und Bürger ermutigen, sich selbst zu schützen und in Notlagen fähig zu sein sich selbst zu helfen, bis professionelle Hilfe eintrifft. Seit diesem Jahr wollen wir einen bundesweiten ‚Tag des Bevölkerungsschutzes‘ ausrichten. Dabei sollen sich Hilfskräfte und Bevölkerung begegnen und Bürgerinnen und Bürger ganz praktisch und zum Anfassen wichtige Kenntnisse für Notfälle, Planung der persönlichen Notfallvorsorge, erlernen. Gleichzeitig können dadurch die ehrenamtlichen Organisationen auch um mehr Nachwuchs werben.“ Der diesjährige „Tag des Bevölkerungsschutzes“ findet übrigens am 24. Juni statt. Weitere Infos sind hier zu finden: Tag des Bevölkerungsschutzes.
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